Ans „Eingemachte“ sollte es gehen – aber innerhalb der schützenden Distanz einer konkreten literarischen Vorlage; ein packendes Jugendthema sollte es werden – aber „nichts Herkömmliches wie Bandenkrieg oder Drogendealer im Milieu“; und in jedem Fall „ein richtiges Stück“ – mit einer dramatischen, aufwühlenden Handlung. Und so kamen gleich zwei Gruppen, sowohl im 10. wie im 11. Jahrgang des Wahlpflicht-Theaterkurses des Corvey-Gymnasiums, auf ihr Thema:
Wer bin ich?
Nicht nur Jugendlichen fällt die Auseinandersetzung mit den häufig irritierenden bis hin zu existentiell krisenhaften Zuständen der lebendigen Persönlichkeitsentwicklung nicht leicht. – Wir suchten und fanden weiterführende Impulse in zwei düsteren Geschichten grenzüberschreitender Verzweiflung:
„William Wilson“ von Edgar Allan Poe und „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“ von Robert L. Stevenson.

Und so entwickelten beide Kurse zum selben Thema des Identitätsverlustes, seiner beginnenden Suche und weiterhin irritierenden „Findung“ im Einsatz sich voneinander unterscheidender Spielformen zwei sehr intensive Stücke.
William Wilson
Im Internat lernt William seinen Doppelgänger kennen: alles an ihm ist gleich – bis auf die Stimme, die einen merkwürdig heiseren Klang hat. Ehrgeizig lässt William sich auf einen Konkurrenz-Kampf ein und muss zunehmend erkennen, dass dieser wesentlich mehr als ein Rivale ist: Wen er im zerstörerischen Finale als Widersacher im Spiegel erkennt … ist er selbst!




Dr. Jekyll und Mr. Hyde
Wer kennt sie nicht, die Filme, die sich dieses Motivs angenommen haben: Ein Mensch verändert durch ein Präparat im Eigenversuch seine Persönlichkeit drastisch und ist verdammt, in zwei wechselnden Gestalten – aufgespalten in eine gute und eine böse – sein Leben zu verbringen?
Umso mehr wurde die Lektüre des Originals von Robert L. Stevenson zu einer vollkommenen Überraschung! Die Erzählung ist multiperspektivisch aufgebaut und man erfährt den linearen Hergang erst allmählich, als sich entfaltendes „Puzzle-Spiel“ : Freunde unterhalten und informieren sich über unglaubliche Vorfälle in den von ihnen frequentierten Gesellschaftskreisen, werden mit merkwürdigen Erlebnissen konfrontiert, wir erfahren als polizeilich aufgenommenen Augenzeugen-Bericht die nächtlichen Beobachtungen eines schokierten Zimmermädchens, finden unerklärliche Briefe vor, die zusammen mit den posthum an die Öffentlichkeit gelangten Tagebuch-Eintragungen der eigentlichen Hauptfigur Dr. Jekyll rückwirkend die ganze Tragödie offenbaren.
Angst und Lust zugleich waren im Spiel, als es ihm gelang, sich dank erzeugter Drogen in ein völlig moralbefreites rohes Wesen verwandeln zu können. Rauschhaft beglückt nutzt er diese „Freiheit“ zur Stillung seiner entfesselten dunklen Begierden bis über alle Schmerzgrenzen hinaus – bis der Sog seiner Sucht sich nicht mehr kontrollieren lässt …

Unsere Inszenierung legten wir nach genau diesem Prinzip an: Die Wahrheit über das Schicksal Dr. Jekylls enthüllt sich erst zum Schluss, bis dahin tragen alle Figuren über ihr Erleben die Facetten dieser Erkenntnis zusammen.
Dabei spalteten wir bereits die Jekyll- sowie die Hyde-Figur aussagekräftig in mehrere Darstellende auf (identifizierbar am identischen Kostüm-Accessoire) –
und erreichten einen hohen atmosphärischen Effekt durch die Kombination unseres aufgesplitteten Spiels mit Schwarzlicht-Szenerien, weshalb die Kostüme und alle Ausstattungsgegenstände in Schwarz und reflektierendem Weiß gewählt und hergestellt wurden.

Projektleitung, Ausstattung und Filmaufnahmen: Christine Steinberg